Erster Einsatz der Technischen Einsatzleitung - bei Rock am Ring

KREIS MYK. Sie haben verschiedenste Großschadenslagen simuliert, damit die Rettungskräfte strukturiert und effektiv eingesetzt werden. Unzählige Male haben sie miteinander geübt, um für den Ernstfall gewappnet zu sein. Diesen Ernstfall gab es in der Geschichte des Landkreises für die Mitglieder der Technischen Einsatzleitung Mayen-Koblenz (TEL MYK) nie. Bis am vergangenen Samstag, 15.30 Uhr: Bei Rock am Ring wurde erstmals die Alarmstufe 4 ausgerufen.

Gesetze, Dienstvorschriften, Alarm- und Einsatzpläne. Die Einsätze der Kräfte für den Brand- und Katastrophenschutz sind klar geregelt. Kleine Einsätze, Alarmstufe 1, regeln die Ortswehren. Schaffen sie es nicht alleine (Alarmstufe 2), dann übernimmt der Wehrleiter der Verbandsgemeinde und koordiniert. Bei Alarmstufe 3 steht beratend der Kreisfeuerwehrinspekteur (KFI) zur Seite. Müssen Kräfte aus dem Landkreis oder gar darüber hinaus alarmiert werden, wird die TEL MYK zur Führungseinheit. Unberechenbare heftige Blitzgewitter mit extremen Regenfällen in ganz Rheinland-Pfalz, ein Großereignis mit fast 100.000 Menschen auf dem Mendiger Flugplatz. Dazu am Vorabend mehr als 80 Verletzte. Am Samstag wurde Alarmstufe 4 ausgerufen.

KFI Rainer Nell hatte sich mit der TEL MYK intensiv auf Rock am Ring vorbereitet: „Wir haben verschiedene Szenarien im Vorfeld von Rock am Ring geübt, aber letztlich ist keine Situation wie die andere. Das weiß auch jeder von uns.“ Klar ist aber auch: Die vielen Übungen schleifen wichtige Routinen ein, geben Sicherheit für Entscheidungen, die innerhalb von Sekunden getroffen werden müssen – und Menschen vor Schäden und Verletzungen schützen oder im Extremfall auch Leben retten.

Bereits im vergangenen Jahr hatten Blitzeinschläge mit Verletzten die ausgelassene Stimmung bei dem Rockfestival getrübt. Am Freitag war das Unwetter innerhalb von Minuten über dem Flughafen Mendig aufgezogen, gegen 20.20 Uhr schlugen die Blitze ein. Die Kräfte der Feuerwehr wurden innerhalb kürzester Zeit von 30 auf 85 erhöht. Weitere 45 wurden in Bereitschaft versetzt. Fast 280 Sanitäter waren schließlich im Einsatz und versorgten mehr als 80 Verletzte – und kümmerten sich um jene, die üblicherweise mit kleineren Problemen bei einem solchen Festival Hilfe benötigen.

Auch am Samstag ist in der Lagebesprechung schon um 10.45 Uhr klar: Es wird kein ruhiger Festivaltag. „Die Wetterprognose für den Samstag sagte weitere schwere Gewitter voraus, am Sonntag sollten zusätzlich schwere Hagelschauer und starke Windböen hinzukommen“, sagt Nell. Einziger Vorteil gegenüber Freitag: Es gibt etwas mehr Vorlaufzeit. 30 bis 45 Minuten. Nicht viel. Aber immerhin.

Landrat Dr. Alexander Saftig, der am Freitag Abend sofort nach Mendig eilte und bis spät in die Nacht blieb, ist auch am Samstag schon früh auf dem Festivalgelände bei den Einsatzkräften. Sämtliche Termine für den Rest des Tages sagt er ab, spricht viel mit den Einsatzkräften und macht sich ein Bild der Lage. Am Mittag ist klar: Innenminister Roger Lewentz kommt mit seinem Staatssekretär Günter Kern nach Mendig. Es gibt eine Besprechung mit dem Veranstalter und der Verbandsgemeinde, mit der Polizei und Meteorologen. Lewentz plädiert für einen Abbruch des Festivals, der Landrat teilt dessen Einschätzung. Das Problem: Es gibt keine klare Gewitterfront, die Gewitterzellen gehen innerhalb von Minuten hoch, sind unberechenbar, da man nie genau sagen kann, wo es ernst werden kann.

Um 15.30 Uhr entscheidet Rainer Nell: Die Technische Einsatzleitung des Kreises übernimmt. Der Deutsche Wetterdienst hat schwere Unwetter in der Zeit von 17 bis 22 Uhr angekündigt. Man will sich vorbereiten und die Zeit nutzen. Jetzt geht es ganz schnell. Mitglieder der TEL MYK werden alarmiert und rücken an. In der Lagebesprechung stehen zwei Fragen zur Diskussion: Wie kann man die Lage bewältigen, wenn das Unwetter kommt, wenn Fahrzeuge es schwerer haben, durch den Schlamm zu kommen, wenn Menschen unterkühlt sind oder Panik bekommen? Was kann man tun, wenn Rock am Ring tatsächlich abgebrochen werden sollte? Wie kann man die Fans, die die Zahl einer Großstadt haben, geordnet vom Festivalgelände bringen? Wie lassen sich Parkplätze beleuchten, wie kann man dort im Zweifel Erste Hilfe gewährleisten? Wie bekommt man die Fahrzeuge frei, die im Morast stecken?

Nell entschiedet schnell: Zu den Raststätten Elztal Süd und Moseltal werden Kräfte aus auswärtigen Landkreisen in sogenannte Bereitstellungsräume beordert. Wehren der Verbandsgemeinden Mendig und Pellenz werden mit fast 170 Mann in Gerätehäusern in Alarmbereitschaft versetzt, das DRK richtet zusätzliche Betreuungsstellen ein und stockt die Helferzahl auf 360 auf. Nur zwei Stunden   zwei Stunden später sind alle Vorbereitungen getroffen: Die TEL MYK und die Kräfte der Feuerwehren und des DRK arbeiten wie ein Uhrwerk!

Bis 18.30 Uhr, der Spielbetrieb auf den Bühnen ist längst unterbrochen, gibt es vereinzelte Gewitter, es regnet. „Es war nicht so dramatisch, wie wir es befürchtet hatten. Das war Glück, pures Glück“, sagt Nell. „Wären die Gewitter so heftig gekommen, wie es die Wetterexperten im schlimmsten Fall befürchtet hatten, hätte die Lage ganz anders ausgesehen.“ Unterkühlung, Verletzungen auf dem verschlammten Feld, Panik und Desorientierung: „Darauf mussten wir uns einstellen.“

Um 20 Uhr ist klar: Der Spielbetrieb geht – verspätet – weiter. Um 21.30 Uhr geht Nell wieder auf die Alarmstufe 3 runter. Bereitstellungsräume werden aufgelöst, die Einheiten können nach Hause. Der Landrat bleibt fast bis Mitternacht in der Einsatzleitung, begleitet jede Lagebesprechung. War der aufwand übertrieben? „In so einer Situation muss man sich auf alles einstellen. Ich freue mich über jeden Fan bei Rock am Ring, der die Tage, die Stimmung und die Musik genießen kann. Noch wichtiger aber ist, dass alles dafür getan wird, dass die Menschen vor Schaden bewahrt werden“, sagt Saftig. Und wie bewertet er den ersten Einsatz der TEL in der Geschichte des Landkreises? „Trotz aller Anspannung merkt man sofort, dass die ehrenamtlichen Helfer genauso professionell arbeiten wie die Hauptamtlichen. Konzentrierte Arbeit auf den Punkt, das ist ungeheuer beeindruckend. Ich bin sehr stolz, dass wir so gut aufgestellt sind. Stolz – und sehr, sehr dankbar für den unermüdlichen Einsatz aller Beteiligten.“

 

Datum der Meldung: 

07.06.2016